„Nationalisten brauchen Anhänger, keine unabhängig Denkenden“

„Nationalisten brauchen Anhänger, keine unabhängig Denkenden“

8. Oktober 2023 2 Von Andreas

Das sind, frei überstzt, die Worte unseres Stadtführers in Mostar. Bisher hat mich keine Stadtführung so aufgewühlt, so beeindruckt wie diese.

Sheva, so heißt unser Stadtführer, war wohl 17 als der Krieg gegen Bosnien Herzogowina begann. Dieser Krieg ist in Mostar noch allgegenwärtig mit zerstörten Gebäuden aber auch bei den Menschen, wenn man auf das Thema zu sprechen kommt. So nimmt er einen großen Raum bei der Führung ein, die Enstehungsgeschichte davon, der Zerfall Jugoslawiens. Wir lernen auch, wie wichtig genaue Bergriffsverwendung ist und wie weit verbreitete eine vereinfachte Darstellung ist.

Am meisten beeindrucken uns die Erzählungen aus erster Hand. Sheva steht an einer Stelle in einem Wohngebiet, zwischen sozialistischen Häuserblocks. Auf dem Boden sieht man die Einschlagsstelle von einem Geschoss und den Spuren der Splitter, die mit hoher Geschwindigkeit und Temperatur in einem 360 Grad Radius alles treffen. Er zeigt uns einen Splitter, der eines Nachts 27 cm neben einem Kopf eingeschlagen ist. Er erzählt vom Alltag im Krieg, wenn täglich tausende Geschosse in der Stadt einschlagen, wenn es bei jedem Gang vor die Tür ungewiss ist, ob man auch zurück kommt. Wie man sich in solch einer Situation versorgt und die Möbel als Brennmaterial nehmen muss, weil es sonst nichts gibt.

Und wieder müssen Menschen in Europa in dieser Situation leben, etwa in der Ukraine.

Tief berühren uns die persönlichen Verletzungen. Der beste Freund von Shevas ist noch immer verschollen, seine Leiche wurde bisher nicht gefunden. Darüber, dem letzten Fünkchen Hoffnung er könne noch leben, ist die Mutter des Freundes verbittert. Noch immer ist eine Straße die Trennlinie zwischen Nationalisten und einer libaraleren Lebensform. Die Politik verschärft die Situation, Korruption, Vetternwirtschaft und Nationalismus treiben dieses Land in den Ruin.

Auf meine Frage nach Wegen oder Projekten zur Versöhnung erzählt Sheva mehr Geschichten von Verletzungen, den immer noch vermissten, den ethnischen Säuberungen, die es gab.

Europa hat in Bosnien Herzogowina versagt und versagt dort noch immer. Und noch etwas wird dort deutlich: wie zerstörerisch jede Form von Nationalismus ist. Dieser Engstirnigkeit müssen wir entgegentreten, egal wo und gerade auch in Deutschland.

Der Separation der Kinder durch unterschiedlichen Unterricht etwas in Geschichte wird vor allem Anhänger für die Nationalisten heranziehen. Die kritisch denkenden müssen aber gestärkt werden.

Zuletzt erzählt uns Sheva noch eine Geschichte. Vor einigen Tage bekam er eine Anmeldung von einer jungen Frau, aufgewachsen in Deutschland. Bei ihrem Besuch ihrer Eltern in Mostar wollte sie eine Stadtführung mitmachen . Aber sie macht einen Fehler, sie erzählt ihren Eltern davon. Die Eltern verbieten ihr diese Stadtführung mitzumachen.

Dass es auch anders sein kann hatte ich mit einem Straßenhunde Projekt von IFAW erlebt. Über die gemeinsame Sorge um Hunde und einem besseren Leben in der Gemeinde haben sich auch verfeindete Lager angenähert. Ein langer Weg, ein schwieriger Weg, der auch schnell scheitern kann, aber, so meine ich, der einzige Weg in eine lebenswerte, offene und tolerante Zukunft.

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