Menschen, Mangroven und Mücken

Menschen, Mangroven und Mücken

6. März 2024 0 Von Andreas

Mit dem Bus fahren wir nach Kattikkulam, gerade mal 20 KIlometer weiter, aber schon im Bundesstaat Kerala. Die Grenze zwischen den beiden Bundesstaaten wirkt auf uns schon beinahe wie eine Staatsgrenze, auf jeder Seite ist ein Polizeiposten. Als wir in Kattikkulam ankommen wundern wir uns etwas über eine starke Polizeipräsenz, sie helfen uns aber die TukTuks zu finden, die wieder ordentlich in Reihe auf Fahrgäste warten. Eine kurze Fahrt weiter komme wir in unserer Unterkunft an, wieder einem Jungle Resort und wie sich die Tage danach herausstelle, sind wir auch die einzigen Gäste. Hier machen wir uns frisch und warten auf den Projektleiter der lokalen Projekte von Wildlife Trust of India (WTI). Ich hatte ihn im Vorfeld kontaktiert, ob wir Projekte besuchen könnten.

Am frühen Abend kommt Sujnan vom WTI vorbei und erklärt uns, dass wir wahrscheinlich nicht Alles machen können, was geplant war. Die zuständige Forstverwaltung hat alle Parks und Schutzgebiete für Besucher geschlossen. Eine Woche vor unserem Besuch ist etwa ein Kilometer von unserer Unterkunft ein Mann durch einem Elefanten zu Tode gekommen. Streiks hatten sogar am Tag zuvor die Grenze zwischen den beiden Bundesstaaten blockiert. Das erklärt dann auch die hohe Polizeipräsenz.

Montagmorgen kommt dann Ramith, der Projektmanager. Er erklärt uns die Situation ausführlicher. Es sieht so aus, als würde das Ereignis nun von Gruppe genutzt, um die Forstbehörde zu schwächen, die gegen illegale Landnutzung der Gruppe vorgeht. Es ist eine hochbrisante, politisierte Situation. Es erinnert mich sehr daran, wie in Deutschland manche Gruppen versuchen den Wolf zu nutzen, um ihre Agenda voran zu bringen. In Indien wie Deutschland haben diese Gruppen wenig Interesse daran, eine konstruktive Lösung für die Mensch-Tier-Konflikte zu finden, die eine Koexistenz erlauben. Natürlich will die Forstbehörde vermeiden, dass es zu weiteren Zwischenfällen mit Elefanten kommt, daher die Schließung aller Parks und Schutzgebiete.

Dennoch können wir den vom WTI initiierten Wildtierkorridor zwischen zwei Schutzgebieten ansehen und am Rand durchfahren. An einer Stelle zeigt uns Ramith und Kollegen den Ort, an dem früher ein Dorf war, das in der Wanderroute der Elefanten und anderer Wildtiere lag. Mit viel Geduld und individuellen Angeboten konnte der WTI die Dorfbewohner davon überzeugen wenige Kilometer weiter zu ziehen und damit aus dem Korridor raus. Später besuchen wir das neue Dorf und können auch mit einem Bewohner sprechen. Wir sind beeindruckt von den Häusern, die nach den jeweiligen Wünschen der Familien gestaltet wurden. Und auch die Dorfgemeinschaft ist intakt geblieben, ihre Anbindung an Schulen, Läden, Gesundheitswesen hat sich verbessert und sie haben Land bekommen, um weiterhin, ohne Konflikte mit Elefanten, Ackerbau zu betreiben.

Wir sind beeindruckt zu sehen, so kann es auch funktionieren, mit viel Geduld mit den Menschen vor Ort die richtige Lösung zu finden. Wir fahren weiter durch den Korridor bzw. daran entlang. Und tatsächlich, an einer Stelle sehen wir eine kleine Gruppe Elefanten, die im Wald offensichtlich darauf warten die Straße zu überqueren.

Am nächsten Tag haben wir kein Programm mit den Kollegen von WTI, sie haben mit der aktuellen Situation auch genug so schon genug zu tun. Der Besitzer von unserer Lodge bietet uns an, eine kleine Tour zu machen, unter Anderem mit einem Rundboot auf dem Fluss zu fahren. Gerne nehmen wir das großzügige Angebot an. Schon kurz nach der Unterkunft, keine 100 Meter weiter, sehen wir wieder Elefanten. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie eng hier Menschen und Elefanten zusammen leben. Mit dem Rundboot fahren wir etwas auf dem Fluss hin und her. Es ist eine schöne Atmosphäre und ein willkommener Perspektivwechsel. Natürlich versuchen wir auch, das Boot zu fahren und nach einer kleinen Einweisung geht es ganz gut ohne ständig im Kreis zu fahren. Wir fahren noch etwas durch die Umgebung bevor wir zurück in unsere Unterkunft kommen.

In unserer Unterkunft gibt es einen Aussichtsturm mit Blick auf den Wildtierkorridor. Morgens uns Abends setzen wir uns dort hin und beobachten, was so vorbei kommt. Nicht nur sehen wir schöne Vögel, Riesenhörnchen und Makaken, an unserem letzten Abend dort kommt auch die kleine Elefantenfamilie vorbei. Im freien, keine 15 Meter von den grauen Riesen entfernt zu sein ist schon beeindruckend und ein ganz anderes Erlebnis, als in einem Jeep die Dickhäuter zu erleben. Es ist auch erstaunlich, wie schnell diese großen Tiere im Gebüsch unsichtbar werden.

In der Dämmerung klettern wir von unserem Turm und gehen ein paar Schritte entlang dem Elefantengraben, der uns von den Tieren trennt. Und tatsächlich zeigt sich einer von ihnen nochmal kurz, etwa 15 Meter vor uns und ist ein Ehrfurcht gebietendes Erlebnis.

An unserem letzten Tag in Wayanad sind wir noch zum Mittagessen mit Vivek Menon verabredet. Vivek ist der Chef von WTI und hat uns die Projektbesuche ermöglicht. Es ist schön ihn wieder zu treffen und wir unterhalten uns gut. Nach dem ausgedehnten Mittagessen fahren wir dann mit Auto und Fahrer nach Kannur, unserer nächsten Station.

Etwas südlich von Kannur hatten wir uns eine Unterkunft direkt am Meer gebucht. Schon als wir ankommen ist uns klar, dass wir nicht die min zwei Nächte bleiben wollen. Das lieblose Abendessen bestätigt uns in unserer Entscheidung. Mit Hilfe der WTI Mitarbeiter in Payyanur, nördlich von Kannur, organisieren wir uns eine Unterkunft direkt am Backwater. Wieder holt uns ein Taxi ab, fährt uns zum WTI Projektbüro für die Mangroven-Wiederaufforstungsprojekte und dem Walhai-Schutzprojekt. Wir lerne die Mitarbeitenden kennen und werden mit einem leichten Toddy (Palmwein) begrüßt bevor wir dann zu unserer neuen Unterkunft gebracht werden. Es ist ein wunderschönes Haus mit eigener Küche direkt am Wasser und ganz für uns alleine. Purer Luxus, den wir genießen. Schon bald werden wir wieder abgeholt uns es geht in die Mangrovenwälder, dort lernen wir viel über diese wichtigen Pflanzen und bieten den lokalen Moskitos einen willkommenen Festschmaus.

Bevor es für uns zurück zu unserer Unterkunft geht sitzen wir noch mit Bharat und seinem Kollegen zusammen und teilen uns einen Snack und Bier. Die beiden sind wohl Mitte, Ende zwanzig. Irgendwie kommen wir auf das Thema Beziehung und Bharat erzählt uns, dass er eine Freundin in Bangalore hat, sie aber aus einer streng orthodox-christlichen Familie kommt und auch seine Familie, insbesondere seine Mutter eine formale Beziehung (noch?) nicht erlauben würde. Letztendlich gibt es solche Situation auch bei uns in Deutschland, ob sie in Indien häufiger sind oder nicht, vermag ich nicht zu sagen.

Abends genießen wir unser Haus am Wasser, die Stille, relative Einsamkeit und uns ein einfaches Mahl selber zuzubereiten. Am nächsten Morgen geht es schon früh los, diesmal steht eine Kajaktour zu den Mangroven mit einem Ökotourismusanbieter auf dem Programm, der mit WTI kooperiert. Die Perspektive vom Wasser gefällt uns ja. Von dem Mangrovenwald sind es nur wenige Paddelschläge durch das Backwater bis zur Landzunge und einem wunderschönen Strand. Als „Backwater“ werden hier Brackwassergebiet bezeichnete, in denen sich die Zuflüsse aus den Flüssen mit dem Meer vermischen. Meist erstrecken sich die Gebiete hinter langen Landzungen, in diesem Fall ist sie 24 Kilometer lang.

Abends haben wir das Glück zu einem Theyyam gehen zu können. Theyyams sind religiöse Veranstaltungen, die es nur im Norden Keralas gibt und einmal jährlich stattfinden. Es wird immer eine Geschichte erzählt, in unserem Fall ist die Geschichte 500 Jahre alt, wird von einem Tänzer aufgeführt, und nur mündlich überliefert. Der Theyyam startet etwa um 16 Uhr und geht bis etwa 5 Uhr in der Früh. Teile des aufwändigen Kostüms wird vor Ort hergestellt. Interessant finden wir auch, dass der Tänzer aus einer niedrigen Kaste kommt während der Zeremonie aber zu einem Gott oder Göttin wird und auch von den reichsten verehrt wird. Wir bleiben nicht die ganze Nacht, denn am nächsten Morgen geht es für uns schon wieder früh los, damit wir den Schnellzug von Kunnar nach Kochi unserem nächsten Etappenziel, erreichen.

Zugtickets in Indien zu bekommen ist eine Wissenschaft für sich, zumindest wenn man keine Tickets für unreservierte Sitzplätze haben will, wie wir ja schon bei unserer ersten Zugfahrt erfahren hatten. Ich hatte mir eigens die offizielle indische Bahnapp aufs Handy geladen, mich nach mehreren Versuchen sogar erfolgreich registriert, allerdings bin ich beim bezahlen gescheitert, das System erlaubt nur indische Kreditkarten oder Bezahlsysteme. Glücklicherweise kennt sich Bharat vom WTI Team aus, sogar ziemlich gut. Er kann uns sogar im immer am Tag vor der Zugfahrt um exakt 10 Uhr stattfindenden Versteigerungsverfahren zwei Fahrkarten sichern. Die App hat aber noch mehr Vorzüge, man kann sich dort an jedem Bahnhof Essen in den Zug bestellen, sogar an den Sitzplatz. Das wäre doch mal was für die Deutsche Bahn.

An dieser Stelle nochmal ein herzlichen Dank an das WTI Team in Wayanad und Payyanur uns empfangen und noch dazu so toll betreut zu haben.
Mehr zu unseren Erlebnissen in Kochi, unserem Ausflug in die Berge und unserem Sunrise-trek könnt ihr bald im nächsten Blog lesen.